Ergebnisse in einfachem Deutsch
Lesen beginnt häufig mit der Auswahl dessen, was man lesen möchte. Recherchiert man im Internet nach einer Frage, werden einem verschiedenste Dokumente angeboten, unter denen man eine Auswahl für weiteres Lesen trifft. Diese Dokumente mögen sich hinsichtlich ihrer Passung zur eigenen Fragestellung unterscheiden. Darüber hinaus unterscheiden sie sich aber oft auch hinsichtlich dessen, welche Expertise die Autorin oder der Autor hat. Beispielsweise kann eine Autorin wissenschaftliche Expertise zur Fragestellung haben, während eine andere Autorin persönliche Erfahrungen mit der Thematik gemacht hat oder eine persönliche Meinung vertritt.
Lesen geschieht außerdem in verschiedensten Kontexten. Studierende können beispielsweise für die Uni lesen, oder sie lesen für ein persönliches Projekt. Wenn sie für die Uni lesen, bestehen oft Erwartungen an sie hinsichtlich der Qualität der ausgewählten Literatur. Beispielsweise wird im Uni-Kontext oft erwartet, dass Studierende Autor:innen mit wissenschaftlicher Expertise bevorzugen. Im persönlichen Kontext bestehen meist keine solchen Erwartungen von außen. Die Studierenden können nach ihren eigenen Überzeugungen und Werten entscheiden, welchen Quellen sie vertrauen möchten.
Das Ziel der Studie war es, den Einfluss verschiedener Kontexte auf die Auswahl von Dokumenten für weiteres Lesen bei Studierenden zu untersuchen. Dafür wurden zwei Experimente durchgeführt. Im ersten Experiment wurden zwei Kontexte miteinander verglichen: ein Uni-Kontext und ein persönlicher Kontext. Im zweiten Experiment wurde noch ein dritter Kontext untersucht: ein persönlicher Kontext, in dem aber ein externes Publikum wissenschaftlich fundierte Arbeitsweise schätzte. Dieser zweite persönliche Kontext sollte daher näher am Uni-Kontext sein.
Neben dem externen Kontext wurde auch der interne Kontext untersucht, genauer gesagt: die Einstellungen der Studierende zu Wissenschaft sowie ihr Wissen über wissenschaftliches Vorgehen. Es wurde angenommen, dass beides die Auswahlentscheidungen ebenfalls beeinflusst.
Es wurden zwei Online-Experimente durchgeführt. Am ersten Experiment nahmen 165 und am zweiten 125 Studierende der Universität Bamberg teil. Die Studierenden wurden bereits bei der Anmeldung zum Experiment einer Bedingung zugeteilt: In Experiment 1 entweder dem universitären Kontext oder dem persönlichen Kontext, in Experiment 2 dem universitären Kontext, dem persönlichen Kontext oder dem persönlich-plus-Publikum-Kontext.
Im universitären Kontext sollten die Studierenden sich vorstellen, dass sie im Rahmen eines Seminars Texte zu verschiedenen Fragestellungen lesen und darüber einen kurzen Text schreiben sollten. Ihr:e Professor:in würde die Texte lesen, und seine/ihre Meinung sei ihnen wichtig. Den Studierenden im persönlichen Kontext wurde gesagt, dass sie einen Podcast vorbereiten und dass ihr:e beste:r Freund:in ihnen Themen dafür vorgeschlagen hätte. Sie schreiben die Texte nur für sich selbst. Im persönlichen Kontext mit Publikum sollten sie sich ebenfalls vorstellen, dass sie einen Podcast vorbereiten etc. Zusätzlich wurde ihnen aber gesagt, dass sie die Texte als Shownotes für den Podcast schreiben, ihr Publikum sie also lesen würde, und dass ihr Publikum Wissenschaft und wissenschaftliches Vorgehen schätzen würde.
Allen Gruppen wurde gesagt, dass sie heute zunächst nur Texte auswählen, die sie später lesen wollen würden. Ihnen wurde dann für vier verschiedene Fragestellungen eine Ergebnisseite einer Suchmaschine gezeigt, die Titel von Dokumenten sowie eine:n Autor:in einschließlich Berufsbezeichnung oder sonstigem Bezug zum Thema angezeigt. Sie konnten aus einer Liste von zehn Dokumenten so viele auswählen, wie sie wollten, um sie später zu lesen. Das interessierende Merkmal dieser Auswahl bestand in der Eigenschaft der Quelle des Dokuments, konkret: der Erfahrung der Autor:innen. Hier wurde variiert, ob die Autor:innen eine wissenschaftliche Expertise aufweisen konnten oder persönliche Erfahrungen mit dem Thema gemacht hatten.
Als Einstellungen zu Wissenschaft wurden Nützlichkeit von Wissenschaft und Vertrauen in Wissenschaft mit Fragebögen erfasst. Außerdem wurde ein reaktionszeitbasierter Test impliziter Einstellungen durchgeführt. Zudem füllten die Studierenden einen Multiple-Choice-Test zu ihrem Wissen über wissenschaftliches Vorgehen aus.
Beide Experimente wurden präregistriert (https://doi.org/10.17605/OSF.IO/C47VH und https://doi.org/10.17605/OSF.IO/BVYD3).
In beiden Experimenten wählten die Studierende erwartungsgemäß hauptsächlich Quellen mit wissenschaftlicher Expertise aus. Dabei gab es jedoch kontextabhängige Unterschiede: Im persönlichen Kontext wählten die Studierenden in beiden Experimenten wahrscheinlicher eine Quelle mit persönlichen Erfahrungen aus. Diese Wahrscheinlichkeit war in Experiment 2 im persönlichen Kontext mit Publikum wieder signifikant reduziert. Ein Vergleich von Uni-Kontext mit persönlichem Kontext mit Publikum zeigte jedoch auch, dass weiterhin Unterschiede bestanden.
Ebenfalls in beiden Experimenten konnte ein Einfluss von Einstellungen gegenüber Wissenschaft und Wissen über wissenschaftliches Vorgehen nachgewiesen werden: Für je nützlicher Studierende Wissenschaft hielten, je mehr sie Wissenschaft vertrauten und je mehr sie wussten, umso weniger wahrscheinlich wählten sie Quellen mit persönlichen Erfahrungen. Für je nützlicher sie persönliche Erfahrungen hielten, umso wahrscheinlicher wählten sie auch Quellen mit persönlichen Erfahrungen aus.
Die Daten, auf denen diese Ergebnisse basieren, sind auf dem Open Science Framework veröffentlicht (https://doi.org/10.17605/OSF.IO/BQ478 und https://doi.org/10.17605/OSF.IO/Y6U2J).
Die Ergebnisse zeigen, dass der Kontext eine Rolle dafür spielt, welche Dokumente bzw. welche Qualität von Quellen Studierende für akzeptabel halten. Für die schulische und hochschulische Bildung bedeutet dies, dass es nicht ausreicht, den Schüler:innen bzw. Studierenden Kenntnisse über die Bewertung von Quellen zu vermitteln (z.B. zu erkennen, ob ein:e Autor:in wissenschaftliche Expertise für die Fragestellung besitzt). In anderen als akademischen Kontexten wählen Menschen ggf. andere Quellen. Allerdings hat die Studie ebenfalls gefunden, dass Einstellungen und Wissen unabhängig vom Kontext einen Einfluss auf die Quellenwahl haben. Soll also gefördert werden, dass Menschen Quellen mit entsprechender Expertise wählen, unabhängig ob das von ihnen explizit erwartet wird oder nicht, sollten entsprechende Einstellungen zu Wissenschaft und Wissen über wissenschaftliches Vorgehen gefördert werden.
Schoor, C., Rouet, J.-F., & Britt, M. A. (2024). Reading for University or for myself? Effects of context and beliefs about science on college students' document selection. Journal of Educational Psychology, 116(3), 317-345. https://doi.org/10.1037/edu0000849
Die Studie ist entstanden im Rahmen des Projekts Contexts, das von der DFG gefördert wurde.